Jede Art von Kultur wird groß geschrieben in Montreal, das traditionell offen für alles Neue ist. Sei es Architektur, Sport – als Austragungsort der olympischen Sommerspiele 1976 –, Medien, Handel, Design wie überhaupt Kunst in jeder Form. Auch alternative Kultur ist in der Stadt zu Hause. So stammt der weltbekannte, für seine fantasievollen poetischen Zirkusprogramme berühmte Cirque du Soleil aus Montreal und hat noch heute dort sein Winter- und Hauptquartier – und zwar im ökologischen Viertel Tohu. Begonnen hat die Geschichte des „Zirkus der Sonne“ übrigens auf dem Marktplatz in der so europäisch wirkenden Altstadt Vieux Montreal. Dort begeisterte Cirque-Gründer Guy Laliberté einst als Feuerschlucker auf Stelzen das Laufpublikum. Inkognito gibt er angeblich noch heute manchmal improvisierte Akrobatik zum Besten. Erstaunlich eigentlich, dass in dieser jungen Stadt das Thema Spa erst seit wenigen Jahren aufkommt. Allerdings erfreuen sich die bereits existierenden Spas ständig steigender Beliebtheit und enormen Zulaufs. Begehrte Etablissements wie Bota-Bota oder Scandivane müssen gar an Wochenenden oder Feiertagen Zugangsbeschränkungen verhängen und den sich um Einlass drängenden Kunden nur tröpfchenweise Zutritt gewähren, damit im Massentrubel nicht die Erholung zu kurz kommt.

„Relax“ ist neben „Beauty“ das Hauptziel dieser Großstadtspas, „Silence“ (Stille) das überall gültige Grundgesetz. Zum gemütlichen Plausch triff t man sich in einer der zahlreichen Bars von Montreal. In den Spas wird relaxt – und das ernsthaft. Wer zu plaudern beginnt, erntet zumindest böse Blicke. Häufi g kommen Paare gemeinsam zum Spa: Verliebte, Verheiratete, Mutter-Tochter- oder Freundinnen-Duos …

Ausgenommen von der sonst üblichen Schweigepflicht sind nur die spa-eigenen Bars und Restaurants. Sie haben sich zum begehrten sozialen Treffpunkt bei der schönen, wohlhabenden Jugend gemausert. Im eher prüden Nordamerika versteht es sich von selbst, dass nie ein nackter Körper zu sehen ist. Peinlichst achten Masseure darauf, auch nicht zufällig einen Busen oder Po zu berühren, ohne ausdrücklich schriftlich vorher vom Kunden dazu berechtigt worden zu sein. Entsprechende Formulare muss jeder Spa-Gast gleich am Empfang ausfüllen. Sicher ist sicher. Diese Papiere enthalten auch die durchaus sinnvolle Frage nach der gewünschten Massagestärke und eventuell die verstärkte Betonung bestimmter problematischer Körperzonen.

Wer in Kanada eine Massage bucht, den fragt man gleich, ob er eine Bestätigung benötigt. Denn Massagen werden zumindest von allen Privatversicherungen problemlos als medizinische Behandlung erstattet. Vielleicht auch, weil das Sinnliche so wichtig ist in dieser französischen Stadt. Ganz anders als im Rest Kanadas suchen dort auch Fremde Augenkontakt und man begrüßt sich mit Küsschen auf beide Wangen. Vielleicht ist die allgegenwärtige Sinnbetontheit der Grund, warum John Lennon und Yoko Ono 1969 ausgerechnet Montreal für ihr legendäres „bed-in“ wählten … (Text: Beate Kuhn-Delestre, Foto oben: Canadian Tourism Commission)