Vom multikulturellen Gedanken Montreals zeugen auch Wappen und Fahne der Stadt: Die vier silbernen Felder um ein breites rotes Kreuz zeigen Blumensymbole, die für die (noch) wichtigsten Bevölkerungsgruppen stehen. Eine blaue Fleurde-Lys (Lilienblüte) steht für die Franzosen, eine rote Rose für die Engländer, eine purpurne Distel für die Schotten und ein grünes Shamrock (Kleeblatt) für die Iren.

Das Zusammenleben verläuft zwar meist friedlich, doch der englisch- französische Sprachenstreit prägt heute die lokale Politik. Seit 1760 die Briten die Herrschaft in Montreal übernahmen und die Franzosen weichen mussten, kämpft Montreal um sein Französisch-Sein. Als die Anglokanadier aus Angst vor den unberechenbaren Frankokanadiern schließlich Toronto zur neuen Hauptstadt machten, verließen 100 000 Familien die Stadt und ihre prestigeträchtigen Paläste in der Rue St. Jacques. Sie wollten in Torontos Bay Street einen neuen Finanzplatz aufbauen, diesmal nicht mit Bauten im viktorianischen Stil wie in Montreal, sondern hypermodern. Seither ist Toronto das Finanzzentrum Kanadas, Montreal konzentriert sich auf das angenehme Leben. In den ehemaligen Bankenpalästen viktorianischen Stils entstanden hübsche Boutique-Hotels, beispielsweise das Nelligan mit einem Spa im verschwisterten Hotel Le Place d’Armes. Offi zielle Amtssprache ist noch immer französisch, aber inzwischen geben große Teile der Bevölkerung als Muttersprache Englisch an (15 %), oder auch Italienisch, Arabisch, Spanisch, Chinesisch. Chinatown lohnt übrigens einen Besuch – am besten zum Essen.

Weltoffen und kulturinteressiert
80 Sprachen werden im Großraum Montreal gesprochen. Einige Stadtviertel im Westen der Metropole, die seit 1867 zu Kanada gehört, gelten heute als rein englisch-sprachig. Dennoch hat die kanadische Provinz Québec, die stolz ihr Anderssein betont, bis heute nicht den Traum von der Unabhängigkeit aufgegeben. Die Menschen fühlen sich nach wie vor ihrem ursprünglichen Mutterland Frankreich verbunden und zitieren dankbar den früheren französischen Staatspräsidenten, Général Charles de Gaulle. Der begeisterterte die Menge 1967 auf dem Balkon des Rathauses mit dem seither vielzitierten Credo: „vive le Québec libre“, es lebe das freie Québec.

Gekommen war de Gaulle anlässlich der Weltausstellung, genau 100 Jahre nach der Gründung Kanadas im Jahr 1867. Sechs Monate dauerte diese „Expo 67“ und begründete den Ruf Montreals als weltoff ene und kulturinteressierte Metropole der Neuen Welt. Auf der künstlich aufgeschütteten Insel Ile Ste Hélène drängten sich 55 Millionen Besucher um die Pavillons der 40 teilnehmenden Nationen zum Motto „Terre des hommes“ (bzw. „man in his world“). Fünf davon kann man noch besichtigen. So beherbergt der frühere US-Pavillon mittlerweile ein Museum zum Thema Wasser. Der einstige französische Pavillon dient als Spielkasino, mitten auf dem Gelände der vielbenutzten Auto-Rennstrecke. Auf das Auto verzichtet man allerdings in Montreal besser: Das Parken ist ungeheuer teuer, die Metro bringt jedermann zudem viel schneller ans Ziel. Unterirdisch ist in den vergangenen Jahrzehnten eine echte Parallelstadt entstanden: ein riesiges Netzwerk von Fußgängerkorridoren und -passagen, die auf dem Stadtplan blau eingezeichnet sind. 33 km sind es insgesamt – und dort sind täglich rund eine halbe Million Menschen unterwegs, geschützt vor der feuchten Hitze im Sommer und vor der bitteren Kälte, Eis und Schnee im Winter. Stolz ist Montreal darauf, dass es der Stadt gelungen ist, dieses Netz zur größten unterirdischen Kunstgalerie der Welt zu machen. Kostenlos (wie im Museum of Modern Art) können Passanten zwischen Skulpturen, Fotowänden, Bildern und anderen Kunstwerken flanieren. Allerdings eilen sie meist achtlos vorbei, selbst im coolen, relaxten Montreal. Leider gelang es der Stadt nicht überall, ästhetische Maßstäbe anzulegen. So ist vielen der „Silo 5“ am Alten Hafen ein Dorn im Auge. Schon lange nicht mehr in Gebrauch, wirkt er mit seinen nackten, gigantischen Betonwänden wie ein bedrohliches, hässliches Monster, gleich neben der pittoresken Altstadt. Doch als „Historical Monument“ darf er weder genutzt noch umgebaut, zerstört oder abgerissen werden. Denn die Kunstaltväter Van de Rohe und Walter Gropius, später auch Le Corbusier, sahen im dem Bau architektonische Kunst, nannten dieses einst funktionelle, heute unnütze Gebäude, gar „eine Blume der modernen Architektur“. Allgemein beliebt ist dagegen eine andere architektonische Idee: Ieoh Ming Pei, Architekt der Pariser Louvre-Glaspyramide, „testete“ in Montreal beim Bau der kreuzförmigen Anlage des Ville-Marie-Platzes schon 1962 ein unterirdisches Pyramidenkonzept – als Lichtbrunnen für das Einkaufszentrum unter den berühmten Wolkenkratzern, das wie 1600 andere Läden und Lokale zum ausgedehnten unteririschen City-Netzwerk gehört.