Kältereize werden seit Langem für therapeutische Zwecke genutzt, schon die alten Römer hatten Kälteräume in ihren Thermen. Hochtechnisiert und wissenschaftlich fundiert, ist die Kryotherapie seit den 1980er-Jahren eine Option bei rheumatoiden Beschwerden, zur Stärkung der Abwehrkräfte oder zur Verbesserung des Hautbilds. Auch manche Wellnesshotels bieten Gästen die Möglichkeit, gesundheitsfördernd zu bibbern.

Auch wenn Sie sich gerade lieber bei 30 Grad unter Palmen räkeln würden – Kälte tut gut! Vor allem dann, wenn sie richtig dosiert und gezielt eingesetzt wird, kann sie kleine Wunder bewirken. Dass dies immer stärker ins Bewusstsein rückt, zeigt der Hype ums Eisbaden. Wellnesshotels erweitern das Abkühlangebot ihres Saunabereichs, das sich bisher auf Erlebnisduschen, Kaltwasserbecken und Eisbrunnen fokussierte, um Schneeräume oder -duschen. Manche veranstalten am hauseigenen Naturbadeteich gemeinsame Eisbade-Sessions. Und immer mehr gehobene Häuser und Resorts bieten außerdem spezielle Kältekammern oder -saunen an, in denen man gesundheitsfördernd bibbern kann.
Kryotherapie, von griechisch kryos (Eis, Frost), ist der Oberbegriff für Behandlungsformen, bei denen man sich Kälte zunutze macht. Dabei unterscheidet man zwischen der lokalen Kältetherapie, etwa in Form von kalten Wickeln oder Auflagen an unmittelbar betroffenen Körperstellen, und der Ganzkörperkältetherapie (GKKT). Sie überschneiden sich teilweise mit der Hydrotherapie, bei der Wasser zu Heilzwecken eingesetzt wird. Schon die alten Griechen und Römer nutzten kaltes Wasser in Form von Bandagen oder Bädern zum Kühlen (und Betäuben) von Entzündungen und Schmerzen. Das Frigidarium, also der Kälteraum, war fester Bestandteil antiker römischer Thermen. Teils war er auch mit einem Kaltwasserbecken ausgestattet, für den beherzten Sprung ins kühle Nass, das nach all den schläfrig machenden warmen Bädern wunderbar belebend wirkte.

Von Japan um die Welt
Pfarrer Sebastian Kneipp, der sich selbst mit Kaltbädern in der Donau von der Tuberkulose kurierte, leistete im 19. Jahrhundert Pionierarbeit in Sachen Hydrotherapie und war zugleich ein Wegbereiter der Ganzkörperkältetherapie. Richtig in Schwung kam diese aber erst dank der Erfindung eines japanischen Arztes: Dr. Toshiro
Yamauchi entwickelte in den 1970er-Jahren ein Verfahren, bei dem unter Einsatz von Kälte rheumatoide Arthritis behandelt wurde. 1980 brachte er die erste Ganzkörper-Kryokammer auf den Markt. 1984 nahm dann der deutsche Rheumatologe Prof. Dr. Reinhard Fricke die erste Kältekammer außerhalb Japans in Betrieb – mit Erfolg. Denn Kälte bremst Entzündungen aus und dämpft das Schmerzempfinden, eine Grundvoraussetzung für weitere physikalische Therapien, etwa Krankengymnastik.

Für drei Minuten in den Froster
Die Kryokammern der ersten Stunde nutzten ausschließlich Flüssigstickstoff zum Kühlen. Sie sahen ein bisschen aus wie ein Fass, aus dem die Patienten oder Kunden wegen der Erstickungsgefahr den Kopf oben herausstreckten. Diese Form existiert immer noch, wird aber zusehends von elektrisch betriebenen Varianten abgelöst, bei denen der Kunde komplett in die Kammer eintreten kann. Es gibt auch Hybrid-Modelle, die die Luft erst mithilfe von Stickstoff herunterkühlen und dann in die Kammer leiten. Auch hier taucht man von Kopf bis Fuß in die Kälte ein. Die Temperaturen betragen, je nach Variante, zwischen -80 und -110 Grad Celsius, ein Aufenthalt in der Kammer beschränkt sich auf zirka drei Minuten. Manche Kryokammern verfügen auch über eine Art Vorraum, in dem man sich ein bis zwei Minuten akklimatisiert, bevor man in die polare Kälte tritt.
Da die Luft in der Kammer trocken ist, kann keine Feuchtigkeit auf der Haut gefrieren und Schäden anrichten. Gleichwohl sollte man darauf achten, nicht verschwitzt oder feucht in die Kabine zu gehen. Und man muss Arme und Beine schützen – mit einer Mütze oder Kopfhörer für die Ohren, Socken und Puschen, Handschuhen sowie einem Mundschutz für die Nase. Ansonsten findet die Kältebehandlung in Badezeug oder Unterwäsche statt. Das ist zugleich einer der Vorteile von Kältekammern: Man muss nicht gleich einen halben Tag opfern, um die Segnungen der Behandlung zu genießen, sondern kann auch mal schnell in der Mittagspause was Gutes für seine Gesundheit tun. Die meisten User sind zunächst überrascht, wie gut die Temperaturen auszuhalten sind. Erst nach etwa der Hälfte der Behandlungszeit wird es richtig ungemütlich. Und ist dann auch schon vorbei.
Wenn man aus der Kammer rauskommt, fühlt man sich super! Durch die schlagartige Abkühlung der Haut reagiert der Körper mit einer sogenannten thermalen Schockreaktion und ergreift Schutzmaßnahmen, um den Schmerz zu mindern. Dabei verengen sich die Blutgefäße, der Stoffwechsel verlagert sich in den Kern des Körpers. Außerdem können Kälteschutz-Hormone ausgeschüttet und der Sympathikus kann aktiviert werden. Dieser Teil unseres Nervensystems bringt die Herzfrequenz auf Touren. Während die Blutgefäße sich verengen, entspannt sich die Lunge. Da auch die Nervenzellen von der Kälte in ihrer Funktion gedämpft werden, nehmen wir Schmerzen nicht mehr so intensiv wahr. Unsere Muskeln entspannen sich, Entzündungen werden gehemmt. Außerdem soll Kryotherapie bei Migräne, Schlaflosigkeit und depressiven Verstimmungen helfen. Darüber hinaus stärkt sie das Immunsystem.


Eiskaltes Erlebnis

Ein Eisbeutel lässt Schwellungen abklingen, Vereisungsspray wirkt schmerzlindernd. Schockartige Kälteeinwirkung soll leistungssteigernd und vitalisierend wirken, zudem wird das Immunsystem gepusht. Das möchte ich testen.

SPA-inside-Redakteurin Susanne Stoll war zunächst der Annahme, dass sie sich verlesen hat: Minus 110 Grad Celsius – so kalt ist es in der Kältekammer. Doch dann traute sie sich …

Die Erkenntnis, dass Kälte gegen Schmerzen wirkt, findet bei der Kryotherapie ihre Umsetzung. Da die Therapie aber auch der Leistungssteigerung und dem Stressabbau dient, wird sie vielfach von Spitzensportlern genutzt. Wirkt sie doch nach Verletzungen und Operationen schmerzlindernd und fördert eine schnellere Regeneration. Das will ich testen!
Doch als der Termin näher rückt und ich lese, dass in der Kältekammer minus 110 Grad Celsius herrschen, wird es mir „mulmig“. Hab ich mich verlesen? Wie soll ich das aushalten – „bekleidet“ nur mit Bikini, Handschuhen, Socken, Mund-Nasenschutz und Stirnband? „Die Luftfeuchtigkeit in der Kammer ist nahezu Null. Daher ist die Kälte gut zu ertragen“, beruhigt mich F.X.Mayr-Arzt Dr. Georg Kettenhuber.
Bevor ich die Kältekammer betreten darf, werde ich kurz untersucht, der Blutdruck gemessen und der Ablauf erklärt. Ich bin aufgeregt. Was ist, wenn ich die Kälte nicht aushalte? Hört mich jemand? Kann ich rasch wieder raus? Diese Fragen hört der Mediziner bestimmt nicht zum ersten Mal, denn er lächelt und erklärt, dass eine Therapeutin mittels Kamera die Behandlung betreut, die jederzeit beendet werden kann. Nur Ohren, Hände und Füße werden vor der Kälte geschützt.

Endlich ist es soweit! Nochmals tief durchatmen und los geht’s! Zunächst betritt man eine der beiden Vorkammern. Hier ist es „nur“ minus 15 Grad kalt, und ich bin überrascht, dass mir die Kälte überhaupt nichts ausmacht. Ich laufe – gleichmäßig atmend – drei, vier Runden, um mich an die Temperatur zu gewöhnen, dann geht es in die zweite Vorkammer mit minus 60 Grad. „Gehen Sie auch hier zwei, drei Runden“, so die Anweisung der Therapeutin, die per Mikrofon mit dem Gast verbunden ist. Der kurze Aufenthalt sorgt für ein stabiles Kreislaufsystem. Mit dem Eintreten in die dritte Kammer beginnt die eigentliche Behandlung. Ruhig atmen und gleichmäßig Runden drehen ist auch hier angesagt. Zunächst spüre ich ein prickelndes Gefühl, „Gänsehaut“ breitet sich aus, alle Härchen sind aufgerichtet. „Eine Minute ist schon um“, höre ich die Therapeutin sagen.
Die Kälte lässt sich tatsächlich aushalten. Nach zwei Minuten mache ich mich langsam wieder auf den Weg durch die beiden Vorkammern nach draußen. Die Haut ist leicht gerötet, aber ich fühle mich wunderbar erfrischt und bin auch ziemlich stolz, dass ich mich überwunden habe. Nachdem Blutdruck und Puls erneut gemessen wurden, freue ich mich darauf, mich in den Bademantel einzumummeln! Klar ist: Erst nach mehrmaligem Aufenthalt in der Kältekammer lassen sich „Erfolge“ feststellen.


Kleine Frischekur für die Haut
Ursprünglich wurden die Wirkweisen im medizinischen Bereich genutzt, später kamen auch Profi-Sportler auf den Geschmack, denn die Kryotherapie verhindert bzw. lindert Muskelkater und -verspannungen. Längst haben Kältekammern Einzug in Fitnessstudios, Spas und Wellnesshotels gehalten. Neben den gesundheitlichen Benefits von Kryobehandlungen profitiert nämlich auch die Haut davon. Bei Psoriasis und Neurodermitis soll sie Linderung verschaffen. Dank der gesteigerten Durchblutung nach der Behandlung sieht die Haut rosig und prall aus. Auch Unreinheiten und der Hautalterung im Allgemeinen soll Kryotherapie entgegenwirken. Sie aktiviert den Fettstoffwechsel, sorgt für ein vitales Körpergefühl und versetzt einen in ein regelrechtes Hoch. Wenn das mal nicht einen Versuch wert ist!


Das gibt’s auch noch

Wenn Ihnen der Aufenthalt in einer Kryokammer bei -110 Grad Celsius nicht geheuer ist, können Sie sich auch mit folgenden Kältetherapie-Formen herantasten:

Schneeräume sind ein spektakuläres Highlight jeder Saunalandschaft. Die Temperaturen betragen bis zu minus 15 Grad Celsius

Schneeräume
Sanft rieselnder Pulverschnee indoor! Die trockene Kälte kühlt nach dem Saunagang bei Temperaturen von -6 bis -15 Grad Celsius mild ab und kurbelt die Durchblutung an. Immer mehr Wellnesshotels bieten diese Attraktion an.

(Foto: shutterstock_Girts-Ragelis)

Eisbaden
Kurzes Eintauchen (3 bis 5 Minuten) in eiskaltes Wasser stärkt das Immunsystem, kurbelt die Fettverbrennung an und sorgt für Glücksgefühle. Wer keinen Badesee in der Nähe hat oder auch im Sommer nicht darauf verzichten will: Spezielle Wannen und Tubs mit Kühlsystemen gibt es ab 1200 Euro.

Kneippen
Kalte Güsse und Wechselduschen haben sich über die Jahrzehnte bewährt. Das Wasser hat hier „milde“ 16 bis 17 Grad Celsius. Vorteil: kann auch zu Hause angewendet werden. Als Vorbereitung für die Kältekammer geeignet.

(Foto: shutterstock_Kzenon)
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Kryolipolyse
Eine lokale Behandlungsform bei kleinen bis moderaten Fettpölsterchen. Je nach Behandlungsziel sind mehrere Sitzungen nötig. Die betreffenden Hautpartien werden mithilfe eines Applikators heruntergekühlt. Die dadurch abgestorbenen Fettzellen werden vom Körper ausgeschieden. Die Behandlung darf nur von einem Arzt durchgeführt werden.


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