Frau Patzschke, was bedeutet für Sie Familie?
Wurzel und Heimat. Ein Ort, an dem man sich ohne Maske zeigen kann, gestärkt und aufgefangen wird – im Idealfall natürlich. Denn gleichzeitig gibt es dort, wo man sich am besten kennt, oft die bewegendsten Konflikte.
Sie haben gerade Ihren ersten Roman veröffentlicht, in dem es um eine traumatische Familiengeschichte geht. Wie kamen Sie auf dieses Thema?
Meine eigene Familie war so ein Hort der Liebe und Fürsorge. Gleichzeitig gab es Unausgesprochenes – Familiengeheimnisse in Folge des Zweiten Weltkrieges, die sich um das Schicksal meiner ebenso faszinierenden wie rätselhaften Großmutter rankten und um einen dramatischen Vorfall zwischen ihr und ihrer Tochter, meiner Mutter, über den niemand sprach.
Stets lag eine seltsame Sehnsucht auf dem Herzen der Frauen meiner Familie. Eine, die ich als Kind nicht benennen konnte, nur spüren. Das muss wohl so nachhaltig auf mich gewirkt haben, dass ich die Rätsel der Vergangenheit meiner Vorfahren lösen wollte. Eine Spurensuche, für die ich selbst ein halbes Leben lang gebraucht habe. Nun entstand daraus ein Stoff, der zeigt, was Kriege mit Menschen machen. Nicht nur mit denen, die sie erleben, sondern auch mit ihren Kindern und Kindeskindern – also über Generationen hinweg. Oft tragen Frauen hier die größte Last. In jedem Fall wirkt das, was vor 80 Jahren in Deutschland sein offizielles Ende fand, noch mitten in unserem Alltag.
Die Vorlage für die Hauptfigur gab Ihre Großmutter. Was war das Besondere an ihr?
Sie konnte gleichzeitig fröhlich und traurig sein. Wenn sie mir eine Gute-Nacht-Geschichte erzählte, lächelte ihr Mund, während in ihren Augen eine tiefe Trauer lag. Eines Tages schenkte sie mir eine Schneekugel – ein Erinnerungsstück an meinen Großvater, das ihr viel bedeutete. „Du musst sie nur immer ordentlich schütteln“, sagte sie dabei, „damit es viele Träume schneit.“ Sie liebte den Winter und die Schneeflocken – und war eine begnadete Schlittschuhläuferin und Musikerin.
… und das Wichtigste, das Sie von ihr gelernt haben?
Dass nur die Liebe im Leben zählt – sie zu empfangen und zu geben. Denn sie ist die Einzige, die uns überlebt. Während Großmutters eigene Liebesgeschichte gleichzeitig schön und dramatisch war, dass sie vermutlich einen Kinofilm abgeben könnte, brachte mir genau diese Frau bei, dass man das Glück immer wagen muss. Man darf es nicht vermeiden, nur weil das Risiko besteht, es wieder hergeben zu müssen.
Können Sie sich an einen Familienurlaub erinnern, der für Sie besonders glückserfüllt war?
Gott sei Dank hatte ich einige tolle Urlaube mit meiner Familie. Das größte Glück dabei war, dass die Generationen Zeit füreinander hatten.
Gerade im Alter habe ich meine Eltern und meine Großmutter in einige wunderbare Hotels an der Küste mitgenommen, weil die Ruhe und das Meer wahre Wunder für sie bewirkten. Zudem verbindet sich das Meer mit einem Versprechen, das ich meiner Oma schon als Kind gegeben hatte: Es ihr einmal im Leben zu zeigen. Immerhin war sie Baujahr 1906 und hatte vorher nie Gelegenheit zu einer solchen Reise.
Und was erleben Sie heute als Urlaubsglück?
Nach wie vor jene Weite des Meeres für die Seele, wenn ich vor tosenden Wellen an einem Strand stehe und sehe, wie das Blau des Wasser mit dem Blau des Himmels verschmilzt. Salzluft und Wind glätten einem sofort das Gesicht, dabei kann ich auftanken. Wenn ich mir eine Unterkunft aussuche, liebe ich es mittlerweile schön und bequem: mit tollem Service und genug Privatsphäre fürs Schreiben oder Selberkochen. In jedem Fall gehört leckeres Essen dazu!
Sie sind beruflich sehr vielfältig: Podcasterin, Autorin, Moderatorin, Coach. Ehrenamtlich engagieren Sie sich als Seelsorgerin – wie kamen Sie dazu?
Durch die seelischen Wackelkontakte in der eigenen Familie entstand früh der Wunsch, anderen Menschen beizustehen, wenn sie kein Licht am Ende des Tunnels sehen. Als ich dann eine gute Freundin auf ihrem letzten Weg im Hospiz begleitete, lernte ich die wunderbare Arbeit der Seelsorger dort kennen und entschloss mich später zu einer Ausbildung. Mit der Möglichkeit, dabei in tiefere menschliche Begegnungen zu kommen als während eines zweiminütigen Fernsehinterviews, empfinde ich die Tätigkeit als wertvolle Ergänzung zu meinem Job in den Medien.
Woraus schöpfen Sie nach einem vollen Tag neue Energie?
Tatsächlich durch solche Begegnungen, bei denen ich Menschen zum Lächeln bringen oder ihnen Zeit schenken kann, indem ich zuhöre und sie sich gesehen fühlen. Diese Momente verleihen meinem Leben Sinn. Natürlich auch durch Auszeiten für mich selbst, zum Beispiel mit tollen Wellness-Anwendungen. Und durchs Schreiben. Für eine gewisse Zeit mit hoffentlich spannenden Hauptfiguren gemeinsame Abenteuer zu erleben und dann vielleicht sogar erfahren zu dürfen, dass sie auch von den Lesern gemocht werden, ist ein Geschenk.
Kurz & Knackig
Mein Lieblingsplätzchen in Leipzig … ist das gemütliche Café in meinem Kiez gleich neben einem Park.
In den Tag starte ich … mit drei Tassen Kaffee und einem Gebet, bei dem ich mich für alles Schöne bedanke, was ich gerade in meinem Leben habe.
Ich lese gerade … endlich mal „Vom Ende der Einsamkeit“ von Benedict Wells.
In meinem Kühlschrank findet man immer … Oliven. Keine Ahnung, warum.
Sport ist … freiwillig.
Mein Motto:
Der weise Rat eines Australiers: Das zu machen, was alle machen, ist so viel wert wie Sand in der Wüste.

Von der TV-Moderatorin zur Autorin
Peggy Patzschke war über drei Jahrzehnte als Radio- und Fernsehmacherin tätig. Doch irgendwann war das der gebürtigen Leipzigerin nicht mehr genug und sie machte eine Ausbildung zur Seelsorgerin. Heute arbeitet sie als Redakteurin und Moderatorin für ARD, MDR und 3sat, betreibt einen Podcast, hat bereits zwei Bücher geschrieben und engagiert sich ehrenamtlich als Seelsorgerin. Auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse präsentierte die 54-Jährige nun ihren Debütroman „Bis ans Meer“ (Rütten & Loening). Ein hochspannender und aktueller Stoff über Familie, Kriegstraumata und gegen das Vergessen.
In jeder Ausgabe von SPA inside stellen wir inspirierende Power-Frauen vor.