Wenn die Apfelblüte beginnt, ist eine Reise in die Normandie genau das Richtige, um den Landstrich im Norden Frankreichs kennen und lieben zu lernen.

Wenn man einen Landstrich besonders mag, ist es immer schwierig darüber zu berichten. Wo fängt man an, wo hört man auf ? Was lässt man weg und wo wird man ausführlicher? Die Normandie ist für mich so eine Gegend – ich gerate regelmäßig ins Schwärmen. Das unbändige Meer, die liebliche Landschaft, die munteren Städte und die verschlafenen Dörfchen. Und das köstliche Essen erst – schon darüber könnte ich mich seitenweise auslassen. Doch der Reihe nach. Denn schließlich möchte ich Sie mit meiner Begeisterung nicht „erschlagen“, sondern Ihnen Lust machen, auch einmal Frankreichs Norden zu bereisen. Und da wären wir auch gleich beim ersten Stichwort: die passende Reisezeit. Nun, eigentlich können Sie immer in die Normandie fahren. Klar, im Sommer kann man sich vor allem am Meer tummeln und mondäne (Bade-)Orte wie Douville, Trouville oder Honfleur besuchen. Es weht immer eine leichte Brise und die Temperaturen sind angenehm warm, ideal für Familien mit Kindern. Der Herbst hat natürlich auch seine schönen Seiten. Dann ist die Apfelernte voll im Gange, man kann endlos lange Strandspaziergänge unternehmen (denn plötzlich sind die Urlaubsorte wie leer gefegt) und die normannischen Wälder faszinieren mit ihrer bunten Farbenpracht. Der Winter, dank des Golfstroms kaum unter 10 Grad kalt, ist ideal, um eine Städtetour zu planen. (Foto oben: Nicolas Dieppedalle, fotolia.de)

Frühlingserwachen
Ich persönlich mag den Frühling. Warum? Da wäre zum Beispiel die Apfelblüte … Es ist ein unglaubliches Schauspiel. Wo man geht und steht: zart-weiß blühende Bäumchen. An die zehn Millionen Stück verwandeln die Normandie jedes Frühjahr in ein Blütenmeer. Außerdem: Überall erwacht die Natur, braun-weiße Kälbchen mit dem typischen dunklen Fleck ums Auge springen munter über die frisch- grünen Wiesen und in den Badeorten herrscht die fröhliche Betriebsamkeit der Vorsaison. Mögen Sie Gärten und Parkanlagen? Dann würde ich Ihnen ebenfalls den Frühling als Reisezeit empfehlen. Bevor Sie im Sommer mit Heerscharen an Besuchern z. B. durch den Garten Monets in Giverny spazieren und von der Blütenpracht so gut wie gar nichts sehen, lustwandeln Sie besser im April oder Mai über die berühmte japanische Holzbrücke und sehen den Seerosen beim Wachsen zu.

Mehr als nur Meer
Wenn Sie nicht gleich direkt ans Meer wollen, dann bietet sich eine Sightseeingtour zum Beispiel nach Rouen, Caen oder Bayeux an. Diese normannischen Städte haben viel Charme und einige außergewöhnliche Sehenswürdigkeiten. Wenn Sie auch unbedingt Le Havre, die größte Stadt der Normandie, besuchen wollen, kann ich Ihnen natürlich nicht abraten – Sie aber eventuell vor Enttäuschungen bewahren. Das Stadtzentrum von Le Havre wurde im Zweiten Weltkrieg von den Alliierten stark zerstört. Der Pariser Architekt Auguste Perret bekam den Auftrag, dieses Tapiswieder aufzubauen. Es entstand eine – nun, sagen wir mal – sehr nüchterne Anlage mit quadratischen Häuserblöcken und schnurgeraden Straßen. Für Architekturfans sicher eine Augenweide, für alle anderen eher unterkühlt und wenig einladend.

Spektakulär hingegen ist die Pont de Normandie. Unweit von Le Havre ist das die letzte Brücke, die über die Seine führt, bevor diese in den Ärmelkanal mündet. Doch bevor wir auf dieser Richtung Westen und damit in Richtung der mondänen Bäderorte Deauville und Trouville fahren, rasch noch einen Abstecher nach Nordosten.

Der Kreidefelsen und die Künstler
Als ich das erste Mal nach Étretat fuhr, war ich irritiert, dass ich so kurz vor dem Ziel das Meer nicht sah. Stattdessen Wiesen und Felder, wohin das Auge schaut. Erst kurz vorher geht es plötzlich kurvenreich nach unten – und endlich offenbaren sich einem auch die zigfach fotografierten schneeweißen bizarren Kreideklippen. Das verschlafende Dorf ist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Malern, Musikern und Schriftstellern wie Monet, Offenbach und Maupassant entdeckt und zum Leben erweckt worden.

Heute gehört zumindest ein Spaziergang entlang der Falaises (Klippen) zum Pflichtprogramm. Wenn Sie sich noch etwas länger an der Côte d’Albâtre (Alabasterküste) aufhalten wollen, Städtchen wie Yport, Fécamp und Saint-Valery-en-Caux sind auch durchaus sehenswert.

Nun aber rasch zurück zur Pont de Normandie. Wenn es irgendwie einzurichten geht, fahren Sie mal drüber (auch wenn das eine Mautgebühr von 5, 80 Euro kostet, www.pontsnormandietancarville.fr). Das Bauwerk ist wirklich imposant. Mit 2141 Metern Länge ist es die größte Schrägseilbrücke Europas. Nachts leuchtet das Wunderwerk der Technik in Blau und Weiß.

Dank der Brücke ist es von Le Havre nur ein Katzensprung an die Côte de Grâce, deren Namen auf die Wallfahrtskirche Notre-Dame-de-Grâce zurück zu führen ist. Ganz klar erstes Ziel: Honfleur. Das alte Hafenbecken mit den hübschen Häusern drumherum ist eines der beliebtesten Motive in der Normandie überhaupt. Auch hier tummelten sich im 19. Jahrhundert zahlreiche Maler und Schriftsteller – Honfleur gilt als die berühmteste Künstlerkolonie der Normandie. Vielleicht lieben deshalb die Pariser den Ort so und fallen am Wochenende zu Scharen hier ein. Also besser in der Woche herkommen, dann hält sich das Gedränge in den Gassen in Grenzen. Bevor Sie einen der begehrten Plätze in einem der Cafés oder Restaurants am Hafen ergattern wollen, stellen Sie sich darauf ein, dass die Preise saftig sind und Ihnen eventuell den Appetit verderben können.

Kulinarische Offenbarung im Hinterland
Das Hinterland dieses Küstenabschnitts, das Pays d’Auge, ist unbedingt einen Abstecher wert. Hier fi nden Sie inmitten einer lieblichen Landschaft überall die typischen Fachwerkhäuser der Normandie und natürlich die vielen Apfelbäume – Grundlage des süffigen Cidre und des kräftigen Calvados, der dem Departement auch den Namen gegeben hat. Die Städte Caen mit Burg und dem Musée des Beaux-Arts sowie Bayeux mit der Kathedrale und der berühmten Tapisserie liegen vielleicht auch noch auf Ihrer Route, bevor Sie wieder die Küste und damit die Côte Fleurie ansteuern. „In Trouville ertrage ich das Leben. In Paris nicht“, soll einst Schriftstellerin Marguerite Duras gesagt haben. Recht hat sie. Ich mag den schmucken Badeort im Übrigen mehr als den berühmten Nachbarn Deauville. Dieser hat zwar mehr mondäne Villen und sicher auch eine höhere VIP-Dichte. Dafür geht es in Trouville um einiges relaxter zu. Ein Casino und einen kilometerlangen Sandstrand gibt es hier auch. Unbedingt besuchen sollten Sie die Poissonnerie – die Fischhalle. Wer etwas auf sich hält, probiert unbedingt die Fischsuppe des Fischers Pillet-Saiter. Natürlich gibt es dort auch eine Plateau de fruits de Mer (eine Platte mit fangfrischen Meeresfrüchten), serviert mit einem kühlen Glas Weißwein.

Der Mont – der Besuchermagnet schlechthin
Die letzte Station auf der Reise durch die Normandie befi ndet sich direkt an der Grenze zur Bretagne: der Mont-Saint-Michel. Wenn man die Zahl von 2,5 Millionen Besucher pro Jahr hört, wird sich der eine oder andere fragen, ob das wirklich sein muss. Ja, es muss sein. Der Mont liegt in einer der schönsten Buchten der Welt, zählt zu den beeindruckendsten Klostern des Abendlandes, ist Weltkulturerbe der Unesco und nach Paris die meistbesuchte Sehenswürdigkeit Frankreichs. Bei so vielen Superlativen gibt es kein Entkommen. Mein Tipp: Planen Sie Zeit ein. Oder noch besser: Übernachten Sie vor Ort. Es ist ein wirklich einmaliges Erlebnis, wenn die Tagestouristen wieder in die Busse und Autos gestiegen sind, abends durch die Gassen zu spazieren. In den vergangenen Jahren ist einiges passiert, um die Einzigartigkeit des Mont-Saint-Michel zu erhalten. Die Bucht, die zu versanden drohte, wird mit Hilfe eines neuen Gezeitendammes, unterstützt durch hydraulische Anlagen, kontinuierlich wieder frei gespült. So wird der Berg bei Flut wieder vollständig von Wasser umgeben sein. Damit einher ging auch die Beseitigung des alten Dammes mit dem Parkplatz. Und das auf keinen Fall zum Nachteil der Besucher. Die neuen Parkmöglichkeiten sind außerhalb der „Gefahrenzone“ (bei Springflut kam es schon vor, dass die parkenden Autos unter Wasser standen). Kostenlos fahren Pendelbusse permanent die Besucher zwischen Parkplatz und Mont hin und her. Es ist wirklich alles perfekt organisiert, um dieses prachtvolle Bauwerk genießen zu können.

Und? Habe ich Sie von einer Reise in die Normandie überzeugt? Ihnen fehlen noch ein paar Tipps, was Sie dort sportlich anstellen können? Kein Problem: Grundsätzlich wird Radfahren in Frankreich groß geschrieben. Zudem kommen Pferdeliebhaber auf ihre Kosten, denn das wohl bekannteste Nationalgestüt Frankreichs namens Haras du Pin befindet sich in dem Departement Orne. Außerdem gibt es rund 40 Golfplätze in der Normandie. Und dass man am Meer segeln, surfen sowie Kanu und Kajak fahren kann, versteht sich natürlich von selbst. Bon voyage!