Ulrich Lang berichtet, wie Hurrikan Sandy das Leben in New York gehörig durcheinander brachte. Zur Unterstützung der Stadt sollten alle zum Weihnachtsshoppen hierher kommen.

Eigentlich hätte es ein typisches letztes Oktoberwochenende 2012 in New York werden sollen – Kürbisse, Verkleidungen zu Halloween, Brunch mit Freunden in Brooklyn. Dann wirbelte ein Monstersturm namens Sandy alles durcheinander und richtete Verwüstungen an, unter denen die Stadt noch lange Zeit leiden wird.

27. Oktober: Die Stadt wird in den Nachrichten gewarnt – ein Hurrikan namens Sandy, aus der Karibik kommend, trifft auf eine außergewöhnliche Wetterlage und wird zu einem Monstersturm, den Amerika schnell „Frankenstorm“ tauft. 28. Oktober: Über das Fernsehen warnt Bürgermeister Michael Bloomberg die Bevölkerung New Yorks in den Häusern zu bleiben, sich mit Essen, Wasser und Taschenlampen einzudecken Ab Sonntagabend werde das New Yorker Subway- Netz dicht gemacht und es würden keine U-Bahnen mehr fahren. Die Schaufenster des Luxuskaufhauses Bergdorf Goodman, sonst mit Samt und Seide gesäumt, sind mit Sperrholz verbarrikadiert.

29. Oktober – 10:30 Uhr morgens: Die Avenue of the Americas, normalerweise zu dieser Stunde dicht befahren, ist menschenleer. Kurz nach Mittag mein letzter Spaziergang am Hudson River, dort das Wasser schon bedrohlich hoch – mein Kühlschrank bis obenhin gefüllt mit Essen. Abends: Hurrikan Sandy tobt und plötzlich geht der Strom aus. Nicht nur bei mir in Greenwich Village, sondern auch in ganz Downtown Manhattan. Der gesamte Südzipfel der Stadt, in tiefe Nacht getaucht, wird auch die gesamte Woche ohne Strom bleiben.

30. Oktober: Greenwich Village ohne Stom, mit geschlossenen Stores, Restaurants und Bars, ohne Subway und mit wenig Autoverkehr. Ich mache mich am Morgen wie viele New Yorker auf den Weg in Richtung Norden – ab der 30. Straße sieht man, wie Leute vor geschlossenen Starbucks-Filialen ihre Handys und Ipads an das Wi-Fi-Netz des Kaffee-Anbieters anzudocken versuchen. Uptown Manhattan hat ebenso wie Brooklyn durchgehend Strom. Mein vorübergehendes Officce wird das Sheraton Hotel in der Nähe des Times Squares. Fast surreal mein Nachhause- Weg abends: Vom hell erleuchteten Times Square in Richtung Dunkelheit in Süd- Manhattan. Eine Taschenlampe zeigt mir den Weg in meine immer kälter werdende Wohnung.

31. Oktober – Halloween: Der Süddeutsche Rundfunk fragt bei mir an, ob ich nicht ein Fernsehinterview zur Lage in Manhattan geben kann. Am Morgen noch hatte ich die überschwemmten Galerien in West Chelsea besucht. Alle sind verzweifelt über die Tatsache, dass die Wassermassen große Teile des Inventars, der aktuellen Ausstellung oder die Galerie komplett verwüstet haben. Noch immer bin ich mir über das Ausmaß der Katastrophe nicht bewusst. Durch das Fernsehen erfahre ich über die weit über Manhattan hinausreichenden Zerstörungen, Überschwemmungen, die Stromausfälle von New Jersey über das besonders hart getroffene Staten Island bis hin nach Long Island.

Auch die Folgetage haben einen ähnlichen Rhythmus: Pendeln zwischen dem menschenleeren Downtown und dem Rest der Stadt, der wenig betroffen zu sein scheint. Viele meiner Freunde, die unterhalb der 14. Straße leben, sind entweder bei Freunden oder in den Wohnungen ihrer Eltern auf der Upper East order Upper West Side untergebracht. Abends tre en wir uns auf Drinks im Warwick Hotel auf der 54. Straße in der Nähe des Museum of Modern Art. Ich entdecke das koreanische Restaurant Danji in einer Gegend, die ich ohne Sandy niemals betreten hätte. Die Nachrichten melden, dass Stars, die in TriBeCa, Soho oder Greenwich Village leben, ihre dunklen Appartements durch Zimmer in den Luxushotels der Stadt getauscht hätten. Beyoncé und Jay-Z, Vogue-Che‚fin Anna Wintour und Marc Jacobs werden im Mark Hotel gesichtet. Eine Freundin berichtet mir von einem Live-Gig des U2- Frontmanns Bono im Carlyle Hotel.

Auch die im Südzipfel der Stadt liegenden Beauty-Retailer sind betroffen: Sephora, Aedes de Venustas, Bloomingdale’s Soho – alle müssen diese Woche gänzlich ohne Strom auskommen. Online-Bestellungen werden nach hinten geschoben. Friseure, wie der Stylist Matt Fugate, der in Sally Hershbergers Salon im Schlachthofviertel arbeitet, werden über Facebook von Kundinnen um Haarschnitte gebeten. Fugate, so berichtet die New York Times, wandelt das Bad in seinem Apartment auf der Upper West Side (die nach wie vor Strom hat) in einen Salon um. Sue Philipps und ihre Firma Scenterprises, die individuelle Parfums für Endkunden kreiert, ist eine der ersten Beauty-Firmen, die einen Erlös ihrer Verkäufe (Motto „Scents for Sandy“) an das Rote Kreuz weitergibt.

2. November: Mein neues Büro wird das Hilton Doubletree Hotel auf der 29. Straße, das ich per Zufall auf dem Weg in Richtung Times Square entdecke. Es liegt näher zu meiner Wohnung und ist mit Strom und einer schnellen Internetverbindung ausgestattet. Die Zimmerrate dieses 3-Sterne-Hotels beträgt während des Sturms 729 Dollar – alle Hotels in Manhattan sind komplett ausgebucht.

3. November 4:37 Uhr: Ich wache überraschend auf – um mich herum Licht und das Klicken von Geräten, die sich anschalten. Downtown hat wieder Strom!

4. November: Per E-Mail entschuldigt sich die Parfum-Boutique Aedes de Venustas auf der Christopher Street in Greenwich Village für Verspätungen bei der Aussendung von Online-Bestellungen und bestätigt, dass ab sofort alle Internet-Käufe wieder pünktlich ausgeliefert werden.

6. November: Präsident Obama gewinnt eine zweite Amtszeit. Das Empire State Building leuchtet strahlend blau in der Farbe der Demokraten.

7. November: Das Museum of Arts and Design, das eine Ausstellung zum Thema „The Art of Scent“, kuratiert vom ehemaligen Duftkritiker der New York Times, Chandler Burr, am 13. November eröffnen sollte, veschiebt diese um eine Woche aufgrund von Sandy.

11. November: Spektakulär sind die Weihnachtsschaufenster der großen New Yorker Kaufhäuser Saks Fifth Avenue, Henri Bendel und Lord & Taylor immer. Der Luxustempel Barneys New York kündigt eine Zusammenarbeit mit Disney in den noch verhüllten Auslagen unter dem Motto „Electric Holiday“ an – passender könnte das Thema zu diesem Zeitpunkt nicht gewählt sein.

Als ich knappe zwei Wochen nach Sandy mit der U-Bahn in Richtung John F. Kennedy Airport fahre, wird mir klar, dass New York und die Ostküste der USA noch lange mit den Nachwehen des Sturms beschäftigt sein werden. Der Zug geht nicht bis in die Rockaways, die Halbinsel in Queens, die von Sandy extrem stark betro en ist, sondern hält in Howard Beach, wo auch der Flughafen liegt. Die Rockaways und die Strandsiedlung Breezy Point wurden vom Hurrikan mit am Schlimmsten getroff en. In Breezy Point wurden durch die verheerenden Fluten und ein Feuer 111 Häuser komplett zerstört.

Im Flughafen funktioniert keiner der Aufzüge und auch die Rolltreppen sind abgeschaltet. Ich schleppe meine Koffer über die Treppen ins Abflug-Gebäude. Dort begrüßt mich fast surreal Julia Roberts – überdimensioniert, retuschiert, mit einem perfekten Lächeln: La vie est belle!